Kalte Sommertage. Die Jahreszeit, die uns die sommerlichen „Hundstage“ bringen sollte, beschert uns einen winterlichen Kälterückfall, wie ihn die „ältesten Leute“ um diese Zeit noch nicht erlebt haben wollen. Schon in den letzten Tagen des Mai traten Nachtfröste auf, die den jungen Pflanzenwuchs schwer schädigten, doch hielt sich die Queckersilbersäule im Thermometer in den kalten Nächten immer noch über dem Gefrierpunkt. In letzter Nacht trat nun ein derartiger Wettersturz ein, daß die Temperatur bis 3 Grad unter Null sank. Was in den kalten Mainächten in Gärten und Feldern nicht erfror, das wurde in letzter Nacht zu Grunde gerichtet. Fast das ganze Frühgemüse, Erbsen, Bohnen, Tomaten, Kürbisse, Kartoffeln sind vernichtet; ganze Gemüse- und Kartoffelfelder sind vollständig schwarz. Auch das Korn und die Bäume, namentlich die Nußbäume und die Eichen, haben schwer gelitten.
Aus den Nachbarprovinzen kommen ähnliche Berichte von einem unerwarteten Wettersturz. Im Riesengebirge fiel Schnee. Die augenblickliche Wetterlage hat ihren Ursprung darin, daß der ganze Osten des Erdteils von niedrigen Luftdruck beherrscht wird, während der höchste Druck über dem Atlantik verlagert ist. Bei einer derartigen Luftdruckverteilung streichen über Mitteleuropa rauhe Winde aus nördlichen Breiten, deren Ursprungsgebiet teils das europäische Nordmeer, teils die Polarzone ist. Eine Eigentümlichkeit der derzeitigen Wetterlage ist auch ihre Beharrungstendenz; sie dauert nicht selten wochenlang und entwickelt sich gern immer wieder von neuem dadurch, daß aus der Gegend von Grönland oder aus der Arktis weitere Depressionen über Lappland und Finnland nach Inner-Rußland wandern. Ueber den Zeitpunkt des Endes der gegenwärtigen empfindlichen Kühle lassen sich im Augenblick noch keine Vermutungen anstellen.