30. Januar 1909

Sorau. (Der Toilettenbestand einer Ortsarmen.)

Eine dieser Tage im  städtischen Armenhausee vorgenommene polizeiliche Durchsuchung hatte ein merkwürdiges Ergebnis. Die „rote Marie“, eine als gewerbsmäßige Bettlerin in allen Stadtteilen wohlbekannte, etwas simple Frauensperson hat es, nach dem Sor. Tagebl. fertig gebracht, im Laufe der Zeit einen so großen Vorrat an Kleidungsstücken zusammenzubetteln, daß sich daraus viele Familien auf Jahre hinaus bedienen könnten. Nach Aussonderung von drei Zentnern durch langes Lagern verstockter und sonst unbrauchbar gewordener Kleidungsstücke als Lumpen fanden sich in den Tresors der „roten Marie“: 164 Blusen, darunter 4 seidene und eine Sammtbluse, 49 Röcke, darunter ein seidener, 3 Korsetts, 6 Leibchen, 7 Kopftücher und Hauben, 19 Schürzen, darunter 10 Tändelschürzen, 18 Männerjacketts, 4 Damenkragen (Umhäng), 37 Taschentücher, 26 Paar Schuhe, 3 Damenhüte, 3 Herrenhüte, und 1 Herrenmütze. Unter der Vorgabe, nicht ausreichende Kleidungsstücke zu besitzen, hatte sie diesen ganzen Reichtum zusamengebettelt. Auf die Haussuchung folgte übrigens eine gründliche Reinigung der Ortsarmen, die seit einer zwangsweisen ähnlichen Behandlung im Sommer vorigen Jahres weder Wasser noch Seife benutzt hat. Zwei Frauen hatten stundenlang zu tun, um hier Ordnung zu schaffen.