Baumblütensonntag. Verschiedene Anzeichen der letzten Woche ließen gelinde Zweifel auftauchen, daß der eigentliche Baumblütensonntag in diesem Jahre illusorisch werden würde. Aber der Erfolg des gestrigen Sonntags hat glücklicherweise alle Bedenken zunichte gemacht zum Segen der hiesigen Geschäftswelt, namentlich der Berglokale, die umfangreiche Vorkehrungen zur Bewirtung der Gäste getroffen hatten. Schon die Frühzüge brachten zahlreiche Gäste, so daß sich der Verkehr immer mehr steigerte und mit dem Eintreffen der Sonderzüge seinen Höhepunkt erreicht haben dürfte. Das Wetter war besonders günstig, lachender Sonnenschein strahlte den ganzen Tag mit geringen Unterbrechungen hernieder und versetzte die Gäste, deren Zahl wohl über 5000 gewesen sein dürfte, in die angenehmste Stimmung. Am Bahnhof herrschte ein großer Andrang, der nach Eintreffen des Berliner Sonderzuges einen hier seltenen Umfang annahm. Pünktlich um 9 Uhr 21 Minuten fuhr der Sonderzug aus Berlin ein und schon ehe er zum Stehen gebracht war, erklangen durch die Luthersche Kapelle flotte Begrüßungsweisen. Als sich der Zug entleert hatte, setzte sich die Kapelle an die Spitze und geleitete die Teilnehmer mit Musik in den Garten des Hotel „Kronprinz“. Hier wurden die alten Freunde begrüßt und neue Bekanntschaften geschlossen, überall sah man kleine Gruppen von Personen, die sich freundlich lächelnd die Hand schüttelten. Nachdem sich die Gäste von der Fahrt durch einen Imbiß und frischen Trunk gestärkt hatten, ergriff Herr Stadtrat Zabel das Wort zu einer Begrüßungsansprache namens der Stadt. Er pries die unversiegbare Liebe und die Sehnsucht zu unserer lieben alten Heimatstadt, die durch den alljährlich sich steigernden Besuch immer wieder aufs neue zum Ausdruck kommen. Seine Worte klangen, nachdem er dem Verein der Gubener für die mühevollen Vorbereitungen gedankt hatte, in ein Hoch auf die Stadt Guben aus. Hieran schloß sich eine Ansprache des Vorsitzenden des Vereins der Gubener, Herrn Koch, in der er die alte Treue der ehemaligen Gubener versicherte. Nachdem man noch die Sonderzüge aus Frankfurt a. O., Cottbus und Forst abgewartet hatte, teilten sich die zahlreichen Gäste in vier Gruppen und unter ortskundiger Führung nahmen sie nach verschiedenen Richtungen hin ihren Rundgang auf. Verschiedene Gesellschaften hatten sich ebenfalls hier ein Stelldichein gegeben; so bemerkten wir den Verein Mark Brandenburg, eine größere Anzahl Buchhändler aus den Städten der Lausitz mit ihren Damen, Radfahrvereine usw. – Die Berggassen wurden von früh an nicht leer, lebhaft plaudernde und scherzende Spaziergänger wogten in großer Zahl hindurch, auch die Berglokale waren infolgedessen alle überfüllt und mit Befriedigung dürften die Besitzer auf den geschäftlichen Erfolg zurückblicken. Daß naturgemäß auch der Verkehr in den Straßen der Stadt ein großer war und alle Verkehrsmittel in Betrieb gesetzt wurden, soll nicht unerwähnt bleiben. Gegen Abend machten sich zahlreiche Freunde eines guten Obstweines auf, sich an ihm an der weitbekannten Quelle, der Kelterei Poetko, gütlich zu tun. Auf dem Hofe, ähnlich dem Müchener Hofbräuhaus, waren Tonnen aufgestellt, um die herum es lebhaft zuging. Unaufhörlich floß der Apfelwein aus seinen großen Fässern und labte die vom Spaziergang trocken gewordenen Kehlen. Auch verschiedene Sektkorken knallten unter Jubel in die Luft. – Haben wir nun bis hierher wohl alles pflichtgemäß registriert, so bleibt noch zu erwähnen, daß unzählige Gäste mit photographischen Apparaten ausgerüstet waren und die Stadt Guben dürfte selten so oft geknipst worden sein wie gestern. Hoffentlich halten die gemachten Aufnahmen die Erinnerung an den gestrigen Sonntag bis zum nächsten Jahre wach und veranlassen alle Gäste, im nächsten Jahr wiederzukommen und noch mehr Freunde mitzubringen. - Abends hatten sich die Gäste in der ganzen Stadt zerstreut und erst die Abfahrt der Züge vereinigte alle wieder am Bahnhof, wo wiederum ein kolossaler Andrang wogte. Allen Gästen rufen wir ein frohes Wiedersehen im nächsten Jahr zu!