5. Mai 1916

Eine Mahnung!
Das lange Stehen vor den Fleisch- und Butterläden hat Auswüchse gezeitigt, die sich deutsche Frauen,, deren Männer und Söhne im Felde stehen und für die Existenz des Vaterlandes und damit für die Erhaltung der Familien, für freie Entfaltung deutschen Fleißes und deutschen Könnens kämpfen, nicht schuldig machen sollten. Ueber den Weiberklatsch hat schon manches scharfe Wort gesprochen werden müssen. Angesichts der ernsten Zeit, in der sich das Vaterland befindet, läge es im Interesse der ganzen Bürgerschaft, wenn die Vernunft die Oberhand behielte und jeder Klatsch, der darauf gerichtet ist, die Mitmenschen zu schädigen, ihren Ruf zu untergraben und ihr Ansehen herabzuwürdigen,  unterbliebe. Eine Quelle dieses Klatsches sind die Ansammlungen vor den Fleischer - und sonstigen Lebensmittelläden. Obwohl bekannt ist, daß der Laden erst zu einer bestimmten Stunde geöffnet wird, stehen die Frauen schon mehrere Stunden vor Eröffnung dort und lassen nun ihrem Zungenschlag freien Lauf. Was für ein ungereimtes und unüberlegtes, ja mitunter gehässiges Geschwätz bekommt man da zu hören! Hierbei sollte wirklich etwas mehr Selbstzucht geübt und die Zunge im Zaume gehalten werden. Sind nun die lieben Mitmenschen genügend durchgehächelt, dann wird Umschau unter den Versammelten gehalten, ob auch nicht etwa eine Person darunter ist, die nicht in den allgemeinen Chorus mit eingestimmt hat, oder gar eine Frau, die - einen Hut trägt. Wehe ihr! Sie wird so lange mit unflätigen Redensarten belästigt, bis sie es vorzieht, auf den Einkauf zu verzichten und sich diesen  Anwürfen zu entziehen.

Zu diesem Verhalten eines Teiles der Gubener Frauen darf nicht länger geschwiegen werden. Es ist ganz gewiß bitter zu beklagen, daß wir in Verhältnisse hineingeraten sind, die unsern Frauen die Sorgen für die Ernährung der Familien vergrößern, ja die Sorgen sogar bis zur Not steigern. Glauben aber die schimpfenden Frauen, daß ihre Mitschwestern, die nachgerade lieber zu zuhause bleiben, um sich nicht beschimpfen zu lassen, weil sie vielleicht scheinbar besser dastehen, nicht von denselben Sorgen niedergedrückt werden? Die Zeiten sind für alle Schichten der Bevölkerung hinsichtlich der Ernährungsfrage gleich schwer. Es ist aber immer wieder darauf hinzuweisen, daß  gerade die Nichtkämpfer und auch unsere Frauen den Krieg gegen den Aushungerungsplan Englands führen sollten durch einmütiges und gemeinsames Durchhalten. Gegen unsere Frauen und Kinder richtet sich doch in erster Linie dieser ruch- und rücksichtslose Plan Englands, daher müssen Alle, namentlich aber die Frauen, die Gedanken klar und den Kopf kühl behalten. Mit Schimpfen, Klatsch und Verzweifeln ist nichts getan, Denken und Handeln, das ist für sie notwendig. Und jeder handelt am besten, wenn er darüber nachdenkt, wie er der schwierigen Lage am besten Herr wird.