Eine interessante Entscheidung über die Straßenreinigungspflicht fällte gestern die hiesige Strafkammer. Der Winzer B. auf dem Osterberge hatte wegen Übertretung der Polizeiverordnung über die Straßenreinigung einen Strafbefehl über 3 M. erhalten, war aber auf seinen Einspruch hiergegen vom Schöffengericht freigesprochen worden. Die Anklagebehörde hatte Berufung eingelegt und der Staatsanwalt führte aus, daß die von der Verteidigung zu Gunsten des Angeklagten geltend gemachte Meinung, es bestehe für die Straßenreinigung keine Observanz [örtl. begrenztes Gewohnheitsrecht], solche habe sich auch nicht bilden können, angefochten werden müsse; zur Bildung einer Observanz gehörten auch nicht 30 Jahre, eine solche könne sich neben der Polizeiverordnung auch in viel kürzerer Frist bilden. B. hatte behauptet, er sei zur Straßenreinigung nicht verpflichtet, dies habe die Stadt zu besorgen, die dazu verpflichtet sei. Nun wird aber die Straßenreinigung seitens der Stadt nur auf Antrag der Besitzer und gegen Bezahlung ausgeführt. Durch Zeugen wurde festgestellt, daß seit mehr als 30 Jahren ohne jedweden Widerspruch in ganz Guben seitens der Hauseigentümer die Straßenreinigung erfolgt ist. Der Staatsanwalt betonte, schon die Polizeiverordnung von 1851 beruhte auf einem Gewohnheitsrecht, es habe sich ein solches gebildet; er beantrage unter Aufhebung des Vorerkenntnisses die Wiederherstellung des Strafbefehls. Der Verteidiger, R.-A. Unger, beantragte Verwerfung der Berufung, für den Osterberg bestehe bezüglich der Straßenreinigung eine Observanz nicht, sie habe sich überhaupt für die Stadt nicht bilden können, zumal da ein Teil der Straßenreinigung durch die Stadt besorgt werde. Der Staatsanwalt widersprach dieser Auffassung. Der Gerichtshof hielt es für erwiesen, daß sich bereits bei Erlaß der Polizeiverordnung über die Straßenreinigung von 1851 eine Observanz gebildet hatte; es könne auch nicht angenommen werden, daß der Angeklagte in gutem Glauben gehandelt habe. Das freisprechende Urteil des Schöffengerichts wurde daher aufgehoben und der Angeklagte zu 3 M. Geldstrafe und den sehr erheblichen Kosten des Verfahrens verurteilt.