Der Jubiläums - Unterhaltungsabend im Volksbildungsverein.
Seinen 100. Unterhaltungsabend konnte der Volksbildungsverein gestern im großen Saale des Schützenhauses veranstalten. Ueber den Zweck der Abende ist bereits in den Vorberichten alles gesagt worden, wir können uns daher darauf beschränken, mitzuteilen, was der gestrige Abend seinen Zuhörern bot. Die Leitung lag in den Händen des Herrn Kantor Klinkott, der den größeren Teil der Spielfolge mit mannigfaltigen, vorzüglich ausgewählten vokalen und instrumentalen Musikdarbietungen belegt hatte. Dabei stellte sich auch wieder heraus, daß der Chorgesang in dem von Herrn Kantor Klinkott geleiteten Kirchenchor der Klosterkirche eine sorgfältige Pflegestätte hat. Mit dem eindrucksvollen Sternschen Chor „Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzet "wurde der Abend eröffnet. Im weiteren Verlauf des Abends brachte der Chor noch das schwierige Chorduett von Grabert: „Festrhymnus“, sowie die zeitgemäßen nationalen Chöre „Hohenzollernlied“ und „Deutschland eins geworden“, letzteres mit Begleitung von Streichinstrumenten, zu Gehör. In schöner Ausdrucksweise sprach Frl. Bohn den von Herrn Reinicke gebildeten Prolog. Hierauf folgte eine Ansprache des Vorsitzenden, Herrn Rektor Menke, der etwa folgendes ausführte:
Der Mittelpunkt unseres ganzen Denkens und Handelns ist zur Zeit Kaiser und Reich, Krieg und Vaterland, wirtschaftliche Fürsorge und Durchhalten bis zum Ende. Zu Anfang des Krieges erschien allen der bürgerliche Beruf als Nebensache, der Krieg nahm alle Kräfte in Anspruch. Nach und nach führte aber die gemeinsame Not alle zusammen und hat im deutschen Volke ein herrliches Einheitsbewusstsein und Gemeinschaftsgefühl hervorgerufen. In diese Zeit des gewaltigen Völkerringens fällt nun unser 100. Unterhaltungsabend. Welch eine Fülle von Arbeit bergen diese Abende. Vor unserm geistigen Auge sehen wir die Tausende der Zuhörer. Wir sehen im Geiste die vielen willigen Kräfte, die sich der guten Sache freiwillig widmeten. Wir gedenken der Vereine, der Sänger, der Turner, der Vortrags-und Schauspielkünstler, deren Namen unmöglich alle genannt werden können, wenn sie es auch alle reichlich verdient hätten. Wir gedenken auch der Veranstalter die mit unermüdlichen Eifer die Abende ins Werk setzten; ferner auch der Presse, die uns in unseren Bestrebungen stets unterstützte. Viele von den Mitwirkenden sind nicht mehr. Bei andern versagen die Kräfte. Eines Mannes müssen wir aber ganz besonders gedenken, der früher an meiner Stelle hier stand und der heute, obwohl er krank ist, mit seinem ganzen Denken bei uns weilt. Herr Geheimrat Dr. Hamdorff entbietet Ihnen seinen Gruß in einem in herzlichen Worten gehaltenen Schreiben.(Der Redner verlas das Schreiben.) Auch der Vorsitzende der Gesellschaft für Verbreitung von Volksbildung, Prinz Heinrich zu Schoenaich-Garolath, der leider durch die Sitzung der Gesellschaft am Erscheinen behindert war, sendet uns seine Grüße. Namens des Vorstandes sei nochmals allen, die irgendwie an einen Abend zum Gelingen der Veranstaltung beigetragen haben, herzlich gedankt . Möge jeder in sich das Gefühl tragen, daß er an seinem Teile an dem großen Ziele der Verständigung unter einander gearbeitet hat. Heute begrüße ich Sie an unserem Festabend und wünsche, daß uns jetzt und in Zukunft ein Gemeinschaftsgefühl innewohnen möge ähnlich dem der Schützengrabengemeinschaft draußen im Felde. Möge uns der große Wettkampf die dauernde Ueberwindung des Kastengeistes und aller gegenseitigen Verkleinerung sucht bringen. Der größte Sieg ist wohl am 4.August 1914 gefeiert worden, als man sich die Hand reichte unter dem Kaiserwort: „Ich kenne keine Parteien mehr". Dieser Tag scheint mir als großer nationaler Siegestag geeignet zu sein. Da ist das Wort Max von Schenkendorffs erfüllt worden, der vor 100 Jahren dem deutschen Volke zurief: „Doch noch einmal müßt ihr ringen dann in ernster Geisterschlacht und den letzten Feind bezwingen, der im Innern drohend wacht; Neid und Argwohn müßt ihr dämpfen, Geiz und Haß und böse Lust, dann nach langen, schweren Kämpfen kannst du ruhen, deutsche Brust." Wir gebenuns nicht der falschen Meinung hin, als ob jemals die Unterschiede der Menschen beseitigt werden könnten, aber sicher teilen wir die Meinung des bekannten Berliner Professors Harnack, der gesagt hat, daß der Kastengeist im Volke endlich aufhören müsse. Möchte dieser Krieg im Gefolge haben, dass jeder den nächsten nicht nur in der Not, sondern auch in sonnigen Tagen nach seinem Werte einschätzt. Mögen diese Abende der Unterhaltung, der Bildung und der Stärkung des Volksgemeinschaftsgefühls jetzt und in Zukunft dienen. In diesem Sinne sind sie gegründet worden, das haben sie bis jetzt gewollt und so soll es in Zukunft bleiben zum Segen unseres Vaterlandes. Der früher im Landkreise Guben, jetzt in Neukölln beamtete Pfarrer Herr Siebert brachte nach der Begrüßungsansprache mit seinem sympathisch klingenden Bariton einige hübsche Lieder zum Vortrag, von denen Hildachs „Der Spielmann", wobei sich Herr Kantor Klinkott (Klavier) und Herr Karau (Violine) in der Begleitung bewährten, besonders günstige Aufnahme fand. Mit einigen gut ausgeführten Orchestersätzen war die Kapelle des 2.Ersf.-Batls. Gren.-Regts. Nr.12 unter Leitung des Herrn Musikleiters Kirmse vertreten. Welche wertvollen Kräfte in ihr schlummern, ließen die Soli „Zigeunerweisen" von Sarasatefür Violine (Herr Karau) und das A-moll -Konzert v. Goltermann für Cello (Herr Schwarz) erkennen. Acht junge Damen, die sich um die Unterhaltungsabende im Volksbildungsverein schon sehr verdient gemacht haben, führten ein allerliebstes und reizend ausgestattetes Singspiel: "Teekränzchen vor 100 Jahren" auf, mit dem sie die in lautem Beifall ausgedrückte Befriedigung der zahlreichen Zuhörer fanden. Am Dienstag abend soll die Vortragsfolge noch einmal unverkürzt eine Wiedergabe erhalten. Der Beginn ist auf ½8:00 Uhr abends festgesetzt.