Stadttheater in Guben - Eröffnungs-Vorstellung
Unsere Genossenschaftsbühne öffnete gestern wieder ihre Pforten zur Winterspielzeit 1915/16. In unserem Vorbericht zur Eröffnung des Stadttheaters wurde bereits hervorgehoben, daß das große, blutige Weltdrama, daß wir Gegenwartsmenschen vor unseren Augen sich abspielen sehen, nicht ohne Einfluss auf Geist und Charakter geblieben ist und daß auch im Theater der gehaltvolleren literarischen Kost der Vorzug vor oberflächlichen Tändeleien gegeben und das Theater wieder das werden sollte, was es einst war; eine Quelle geistiger und seelischer Erbauung. Wir haben es daher freudig begrüßt, daß nach dem veröffentlichten Spielplan unsere Klassiker wieder mehr zu Worte kommen sollen als ehedem und setzen dabei auf die ernstere Sinnesrichtung des Publikums auch die Hoffnung, daß die Direktion den diesem ihrem Bestreben die fördernde Unterstützung der Allgemeinheit und der Theaterbesucher im besonderen finden möge.
Die gestrige Eröffnungsvorstellung ließ sich nach dieser Richtung gut an. Mit frohem Wagemut hatte die Direktion Grillparzers klassisches Drama „Sappho“ zur Aufführung auserwählt und groß war die Zahl derer, die da kamen, zu schauen und zu - genießen, denn die mit vielen Fleiß vorbereitete Aufführung bot, wie schon vorweg festgestellt sei, dank der vortrefflichen Darstellung und der prächtigen Inszenierung einen wirklichen Kunstgenuß. Wie es sich an einem so weihevollen Festspielabend geziemt, war auch unsere Stadtkapelle zur Stelle; sie trug einleitend unter Leitung des Herrn Alfred Wolff dem Jüngeren recht brav und mit guter Wirkung das Vorspiel zu der Oper „Titus“ von Mozart vor.
Mit seinem Trauerspiel „Sappho“ trat der bis dahin verkannte Grillparzer in die Reihe der ersten dramatischen Dichter Oesterreichs. Ihm war der Dichter ein Auserwählter, ein Geweihter, ein Priester, den eine Schranke von der übrigen Menschheit trennt, der Verzicht leisten müsse auf die gemeinen Freuden des Lebens, um sich im Innersten die Seele rein zu halten. Von diesem Standpunkt aus will auch „Sappho“ betrachtet sein, welche die Kluft zeigen soll, zwischen den profanen Leben und dem überragenden Dichter, zwischen naiver Natur und reflektieren der Genialität.
Eine „Sappho“ zu verkörpern, haben sich unsere größten Schauspielerinnen - wir nennen nur Charlotte Wolter, Haverland, Rosa Poppe - zur Ehre angerechnet. Gestern war die schwere Rolle der neuengagierten ersten Heldin unserer Bühne, Adelheid Mannstaedt, anvertraut. Die Art und Weise, wie sie sich als „Sappho“ gab, zeugte von einem fleißigen Studium und guten Erfassen der Wesensart der ruhmgekrönten lesbischen Dichterin. Sie ließ eine ganze Skala von Empfindungen menschlichen Glückes und menschlichen Leidens erklingen und erfreute durch den Wohllaut ihres Organs, die Klarheit ihrer Sprache und eine hoheitsvolle Haltung. Ihr ergreifendes Spiel hinterließ einen tiefen Eindruck. Obwohl wir der Künstlerin den Ihr gespendeten Beifall von Herzen gönnten, hätten wir gewünscht, daß Sie nach dem Fallen des Vorhanges, am Schlusse des letzten Aktes, nicht mehr vorgetreten wäre, um die Illusion von „Sapphos“ Tode aufrecht zu erhalten und die Stimmung nicht zu zerreißen. Wenn Fräulein Mannstaedt hält, was sie bei ihrem ersten Auftreten versprach, wird sie oft genug noch Gelegenheit haben, Beifallsbezeugungen auf offener Bühne entgegenzunehmen. - Die neuengagierte „Sentimentale“ unserer Bühne , Anna Röhl , stellte sich als eine liebliche Melitta vor, die der sehnsuchtsvollen Beklommenheit des Herzens , dem Wehgefühl der Verlassenheit , der verbotenen Liebe und der Schuld guten Ausdruck gab. Den naiven Phaon gab der„ jugendliche Held“ Karl Boese. Von seiner Teilnahme am Feldzuge der haftet ihm wohl noch etwas die „rauhe Stimme des Kriegers“ an, im übrigen gab er den erst zu träumerischen und dann zu raschen Phaon, der einen Edelstein um einer Rose willen verwirft, sehr anerkennend. Nicht unerwähnt soll auch Oskar Prell bleiben, der den Sklaven Rhamnes recht lobenswert verkörperte. Der neue Spielleiter,
Josef Dischner, zeigte sich als tüchtiger Regisseur, der, wie es scheint, sein Augenmerk neben einer geschmackvollen dekorativen Ausstattung auch auf wirkungsvolle Gruppierungen richtet. Die Theaterbesucher waren von der Ausführung sehr befriedigt.